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BADISCHE ZEITUNG

05 I 2008

Wandererziel und Wallfahrtsstätte, die bei Augenleiden helfen soll
 
St. Ottilien - das dritte und vermutlich älteste der Wiehremer Waldheiligtümer im Mußbachtal unterhalb des Roßkopfs
 

Ottilie oder Odilia zählt zu den populärsten Heiligen der Region. Um 662 als Tochter des elsässischen Herzogs Etticho blind geboren, wurde sie nach der Legende vom Vater verstoßen, aber von der frommen Mutter in ein Kloster gebracht. Durch die Taufe wurde das Kind mit sechs Jahren sehend und erhielt den Namen "Odilia" (= Tochter des Lichts). Der Vater wollte seine nunmehr sehende Tochter einem reichen Adligen zur Frau geben, doch sie wollte als Nonne leben und verweigerte sich. Erst in Legendentexten des 17. Jahrhunderts wird von ihrer Flucht über den Rhein berichtet. An der Stelle der späteren Wallfahrtsstätte soll sich ein Fels aufgetan haben, der Odilia vor ihren Verfolgern verbarg. Der Vater lenkte ein und schenkte Odilia seinen Sitz Hohenburg, wo sie das noch bestehende Kloster Odilienberg gründete und ihm bis zu ihrem Tod 720 als Äbtissin vorstand. Aus der Felsengrotte, die sie gerettet hatte, entsprang eine als heilsam geltende Quelle. Die Anfänge der Wallfahrt im Mußbachtal liegen im Dunkeln. Die Zeitangaben schwanken zwischen dem 7. und dem 13. Jahrhundert. Der heutige Kirchenbau ist in seinen wesentlichen Teilen nach einer Stiftung von Obristzunftmeister Peter Sprung und seiner Frau Elisabeth Zehenderin errichtet und 1505 geweiht worden. Die Wallfahrt blühte im Verlauf des 16. Jahrhunderts auf, und an den Hauptfesten der heiligen Odilia kamen zahlreiche Pilger ins Mußbachtal. Zeitweilig mussten mehr als zehn Messen an einem Tag gelesen werden. Im 30-jährigen Krieg war das exponiert gelegene Waldheiligtum ab 1632 mehrfachen Plünderungen durch die Schweden ausgesetzt, die die Glocken abhängten und die Türen aufbrachen. 1648 wurde die Kapelle in Stand gesetzt. Die noch vorhanden barocken Altaraufbauten entstanden 1663/64. Gegen Ende des Jahrhunderts nahm die Wallfahrt wieder stark zu. Bei der Belagerung der Stadt durch französische Truppen unter dem Herzog von Villars 1713 wurde die innerhalb des Operationsgebietes gelegene Kapelle so schwer geschädigt, dass umfassende Neubaumaßnahmen notwendig wurden. Die Kirche wurde ab 1714 nach Westen erweitert, und die bis dahin freistehende Kapelle über der Gnadenquelle wurde in den Bau einbezogen. Durch das Tal wurde ein neuer Weg mit sieben Stationenhäuschen angelegt, ein achtes Häuschen oberhalb der Kapelle folgte 1720. Neu gebaut wurden auch Wirtshaus und Bruderhaus. Die Stadt konnte nach 1770 die in Wien beschlossene Aufhebung der Eremitagen und Waldheiligtümer in Österreich für St. Ottilien, St. Wendelin, St. Valentin und den Lorettoberg zunächst abwehren, aber 1783 wurde per kaiserlichen Dekret die endgültige Schließung aller Nebenkirchen und Kapellen verfügt. Und zum 31. März 1788 sollten die Wallfahrten aufgehoben und die beweglichen Güter an die Pfarrei Horben abgegeben werden. Wieder wehrte sich die Bürgerschaft vehement gegen die Auflösung der blühenden Gnadenstätten. 1791 kam endlich der Bescheid aus Wien, dass Sankt Ottilien wieder eröffnet werden dürfe. Unter Hinweis auf die
entsprechenden Dekrete konnte der Magistrat auch eine 1807 von der badischen Regierung geplante Aufhebung abwenden. Ein neues Bruderhaus wurde 1885/86 gebaut, bis 1888 entstand das heutige Wirthaus als Ersatz für den 1885 durch einen Brand zerstörten Vorgänger. 1885 legte die Stadt eine Fahrstraße durch das Immental an und 1903 den Weg vom Kanonenplatz her. Die bislang letzte große Renovierung der Kirche erfolgte in den Jahren 1966/67. Dabei wurden Wandmalereien aus der Zeit um 1503 freigelegt. Noch immer ist St. Ottilien ein beliebtes Ausflugsziel — vor allem wegen der Wirtschaft, aber nach wie vor zieht es manchen Besucher in die Quellengrotte, um sich mit dem Wasser die Augen zu benetzen und so vor Augenkrankheiten gefeit zu sein.


Autor: Peter Kalchthaler, bz

 

Badische Zeitung vom 05.05.2008

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